Epileptische Anfälle und Epilepsien – zu viel oder zu wenig Ordnung der Biosignal-Aktivitäten im Gehirn?

    Prof. Dr. Ulrich Stephani

     

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    Ulrich StephaniEpileptische Anfälle können bei allen Lebewesen mit einem Gehirn auftreten. Sie unterbrechen attackenhaft die motorischen, sensiblen, psychischen, Bewusstseins- und vegetativen Abläufe, wobei z.B. Zuckungen, Missempfindungen, Verstimmungen, Ohnmacht und Urinabgang auftreten. Die Funktionen des Gehirns (mit dem Rückenmark zusammen das sogen. Zentralnervensystem – ZNS) werden über biologisch arbeitende Nervenfortsätze hergestellt, die 86 Mrd. Nervenzellen verbinden. Ionenkanäle und erregende wie hemmende Neurotransmitter (Botenstoffe) vermitteln die elektrischen bzw. magnetischen Impulse, die Biosignale. Dabei lassen spezifische Netzwerke mehrere Hirnregionen für bestimmte Funktionen gemeinsam arbeiten: Die sogenannten fünf Sinne (Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tasten) vermitteln die Wahrnehmungsreize der Umwelt (Input), die in spezifischen Regionen des Gehirns verarbeitet werden; die Aufrecht- und Konstant-Erhaltung des inneren Körpermilieus und die (motorischen) Aktionen stehen auf der anderen Funktionsseite mit ihrem Output. Im Laufe der Ontogenese entwickelt sich das Gehirn ab der Embryonalzeit bis ins Erwachsenen-Alter; selbst im sogen. ausgereiften Gehirn (z.B. bei einem Menschen mit 20 Jahren) können noch Veränderungen und neue Verbindungen bei Lernprozessen auftreten.

    Im ZNS finden viele Abläufe gleichzeitig statt, deren Zahl ist kaum zu benennen. Wenn ein epileptischer Anfall auftritt, kommt es zu einer geringeren Hemmung bzw. größeren Erregung von Nervenzell-Verbünden im Gehirn, manchmal nur in bestimmten Arealen des Gehirns, manchmal im gesamten Gehirn. Zu viele Nervenzellen entladen sich dann gleichzeitig (wie im Gleichschritt) und vermindern die Vielfalt der Hirnvorgänge: Zuckungen, Bewusstseinsstörungen, Stuhlabgang sind Beispiele für Phänomene von epileptischen Anfällen.

    Unterschiedliche Biosignale vermitteln die Aktivitäten des Gehirns. Vor ca. 100 Jahren wurde in Jena das sogen. Elektroenzephalogramm (EEG) entdeckt, bei dem meist von der Kopfhaut über dort platzierte Elektroden elektrische Spannungen abgeleitet und gemessen werden. Es gibt für verschiedene Zustände des Gehirns (z.B. Wachheit, Schlaf, epileptische Anfälle) Biosignal-Muster, die mit dem EEG als immer noch wichtigster Labormethode neurologischer Forschung gemessen und bewertet werden. Die Messung von Magnetfeldern des Gehirns (Magnetenzephalogramm, MEG) ist mit Helium-gekühlten Sensoren in magnetisch abgeschirmten Kammern bereits heute möglich; das MEG wird voraussichtlich aber bald wie das EEG durch ingenieurtechnischen Fortschritt unaufwändig verfügbar sein, was für die Medizin einen großen Fortschritt bedeuten würde.